Der "Megatrend" Digitalisierung erreicht
die Medizintechnik und damit auch ihre Zulieferer
"Für die Gesundheitsversorgung bietet die Digitalisierung große Chancen für eine immer älter werdende Gesellschaft, in der immer mehr Menschen chronisch erkranken. Die Digitalisierung hilft, Krankheiten früher zu erkennen, die Dauer der Klinikaufenthalte zu verkürzen und durch Telemedizin, Apps oder Pflegeroboter länger mobil zu leben", schreibt der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed). Die Schlagwörter Digitalisierung, Internet der Dinge oder Industrie 4.0 tauchen immer öfter auch im Zusammenhang mit der Gesundheitswirtschaft und der Medizintechnik auf. Damit sind diese Themen zugleich in hohem Maße relevant für die Zulieferer für medizintechnische Anbieter. Neue Entwicklungen zum "Megatrend" Digitalisierung werden entsprechend die COMPAMED 2016 in Düsseldorf prägen. Die mit erneut mehr als 750 Ausstellern international führende Branchenplattform für die Zulieferer der Medizintechnik-Industrie feiert in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum und findet in fester Parallelität zur weltgrößten Medizinmesse MEDICA 2016 (ca. 5.000 Aussteller) vom 14. bis zum 17. November in den Halle 8a und 8b des Düsseldorfer Messegeländes statt.
Die bisherige Zurückhaltung bei Medizintechnik-Firmen in Sachen Digitalisierung liegt vor allem an den speziellen Strukturen in diesem Bereich: "Die Branche ist geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und diese haben es schwer, die Potenziale der vernetzten Fabrik für sich zu identifizieren", erklärt Dr. Jens Nitsche, Direktor Research & Development des Beratungsunternehmens Ingenics. Für die kommende COMPAMED vollzieht sich aber offenbar eine Wende, hat der IVAM Fachverband für Mikrotechnik festgestellt, der gerade kleine und mittelständische Unternehmen vertritt: "Ein Trend, den wir aktuell sehen, ist das Thema "Digitalisierung". So spielen Mobile Health-Anwendungen, das `Internet der Dinge´, `Wearables´ sowie smarte Implantate und Textilien eine zunehmende Rolle auf dem IVAM-Produktmarkt. Daher sind Hersteller von miniaturisierten, elektronischen Komponenten, wie z. B. Sensoren und Aktoren auch wieder stark auf dem IVAM-Gemeinschaftsstand vertreten", betont Mona Okroy-Hellweg, Sprecherin des IVAM, der dieses Jahr wieder rund 50 Unternehmen auf seinem Gemeinschaftsstand in Halle 8a der COMPAMED zusammenbringt. "Die fortschreitende Digitalisierung im Bereich der Gesundheitsversorgung prägt derzeit maßgeblich auch das Geschehen rund um die medizinische Produktentwicklung", bestätigt auch Joachim Schäfer, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf.
Interoperable Sensoren und Aktoren für beste Vernetzung
Nach Vorstellungen der neu gegründeten ITG-Fachgruppe "Nutzerorientierte, sichere, dynamische Systeme im Gesundheitswesen" im VDE sollen künftig interoperable Sensoren und Aktoren Daten zu Parametern wie Gewicht, Blutdruck, Temperatur, Aktivität oder EKG am Patienten Gesundheitsdaten aufnehmen und digitalisiert ins Intranet bzw. Internet übertragen. Sie machen es möglich, eine Historie über das Wohlbefinden des Patienten in verschiedenen Umgebungen darzustellen. Aus diesen gespeicherten Gesundheitsdaten lassen sich Dienste generieren, die im Intranet/Internet zur Anwendung bereitgestellt werden und Handlungsempfehlungen geben, etwa sich zu bewegen oder ein Medikament einzunehmen. Sie registrieren auch, welche Maßnahme zur Verbesserung des Gesundheitszustandes beigetragen hat. So kann ein Dienst aus den gesammelten Gesundheitsdaten nach medizinischen Kriterien (Leitlinien) den Erfolg bewerten und damit die bestmögliche Therapie zur Verfügung stellen.
"Ein solcher Dienst würde verschiedene herstellerunabhängige Komponenten bzw. Geräte über interoperable Schnittstellen mit smarten mobilen Devices vernetzen. Im nächsten Schritt könnte dann eine Leistungs-Assessment-Software kontinuierlich den Verlauf der Maßnahmen bewerten und die Gesundheitsversorgung verbessern", skizziert Johannes Dehm, VDE-Standardisierungsexperte im Bereich der Medizintechnik, die mögliche Zukunft. Durch die digitalisierte Transformation unterschiedlichster Daten von unterschiedlichen Sensoren/ Aktoren werden alle Beteiligten nahezu in Echtzeit entlang der Gesundheitsversorgung über wichtige Parameter unter Einhaltung der Telematikinfrastruktur (Datenschutz) informiert. Aus diesem Szenario lassen sich zahlreiche Entwicklungen und Produkte für Unternehmen ableiten, die im Rahmen der COMPAMED als Aussteller beteiligt sind.
Jeder dritte Deutsche hat bereits eine Gesundheits-App installiert
Ohne Zweifel auf dem Vormarsch sind Mobile Health-Anwendungen, bei denen Gesundheitsleistungen durch mobile Kommunikationsgeräte erbracht werden. Gesundheits-Apps werden immer beliebter. Allein im engeren Bereich der Gesundheitsversorgung gibt es rund 100.000 Apps, die zunehmend auch von Medizintechnikunternehmen angeboten werden. Insgesamt sind fast eine halbe Million Angebote über App-Stores erhältlich, die Zahl der Downloads hat 2015 die Zahl von drei Milliarden überschritten - eine Verdoppelung in nur zwei Jahren. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung haben schon 30 Prozent der Deutschen eine Gesundheits-App auf ihrem Smartphone. Bei den Anwendungen geht es laut BVMed beispielsweise um die Stärkung der Gesundheitskompetenz, um Analyse und Erkenntnisgewinne, um indirekte Interventionen durch das kontinuierliche Erfassen und Auswerten von gesundheitsbezogenen Informationen, um Online-Kurse, um die Dokumentation von Gesundheits- und Krankheitsgeschichten, um die Organisation und Verwaltung von Prozessen oder um den Einkauf und die Versorgung über Online-Apotheken.
Ideal geeignet für mobile Anwendungen insbesondere im Bereich Beatmung ist der kleinste Differenzdrucksensor der Welt, den Sensirion zur COMPAMED 2016 präsentieren wird. Der digitale Baustein kann aufgrund seiner geringen Größe von nur fünf mal acht mal fünf Millimetern in Geräte eingebaut werden, in denen wegen des geringen Platzes gar keine Sensorik möglich war. Zusätzlich können bestehende Geräte dank des kleinen Sensors um ein Vielfaches kleiner gestaltet werden. Nebst seiner minimalen Abmessungen überzeugt der Differenzdrucksensor `SDP3x´ auch mit einer herausragenden Genauigkeit und Langzeitstabilität und ist zudem frei von Nullpunktdrift. Der Sensor ist daher bestens geeignet für die Messung von Massenfluss in einer Bypass-Konfiguration. Vorgesehen ist der neue Sensor für Medizingeräte in der Heimpflege, für portable Medizingeräte und intelligente Inhalatoren. Der SDP3x basiert auf der neuesten Generation der CMOSens Sensorchips und ist das Herzstück von Sensirions neuer Sensorplattform zur Messung von Differenzdruck und Massenfluss.
3D-Druck soll auch die Medizintechnik revolutionieren
"Ob in der Forschung, der industriellen Fertigung oder im Krankenhaus: Der 3D-Druck revolutioniert die Medizintechnik", konstatiert Kathrin Schäfer, Redakteurin der Fachzeitschrift DeviceMed, die seit Jahren zusammen mit der Messe Düsseldorf das COMPAMED SUPPLIERS FORUM veranstaltet. Wie richtig diese These ist, beweist das Forschungsprojekt "LightFlex" das das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT mit verschiedenen Industriepartnern durchführt. Ziel des Vorhabens sind medizinische Prothesen, die in Kombination aus 3D-Druck und Faserverbund-Technologie hergestellt werden sollen. Faserverstärkte Spritzgussteile haben einen großen Nachteil: Sie lassen sich kaum an individuelle Wünsche und Bedürfnisse anpassen. Da die entsprechenden Werkzeuge teuer und unflexibel sind, ist eine Fertigung in der Regel nur als Großserie möglich. Deshalb sollen Spritzgusskomponenten durch generativ gefertigte ersetzt werden: Durch den 3D-Druck lassen sich Bauteile nahezu beliebig individualisieren und funktionalisieren, bevor sie mit einem thermoplastischen Faserverbundkunststoff gefügt werden und so die geforderte Belastbarkeit erreichen. Seit 2004 ist der Markt für das Additive Manufacturing jährlich um rund 20 Prozent gewachsen (lt. Wohlers Report 2016) - für die kommenden Jahre kündigt sich weiteres starkes Wachstum an, auch getrieben von Anwendungen in der Medizintechnik.
Internationaler Wachstumsmarkt: Durchflusszytometrie
Der internationale Markt für die Durchflusszytometrie ist in den zurückliegenden fünf Jahren um mehr als zehn Prozent per anno gewachsen. Neueste Prognosen (z. B. von Acute Market Reports) gehen von einem zusätzlichen Wachstum des Marktvolumens auf fünf Milliarden Euro im Jahr 2020 aus. Treiber ist die zunehmende Nachfrage nach Einzelzelluntersuchungen auch in der personalisierten Krebstherapie.
Die "Flüssige Biopsie" (Liquid Biopsy) ist aktuell ein vielversprechender Ansatz für die Diagnostik, Überwachung und individualisierte Therapie von Krebspatienten. Dabei können aus einer herkömmlichen Blutprobe Krebs-assoziierte Biomarker nachgewiesen werden. Hierzu zählen frei zirkulierende Tumorzellen (CTCs), zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) und Exosomen. Das nachfolgende `Next Generation Sequencing´ und die Sequenzanalyse der Nukleinsäuren der Biomarker sollen in Konsequenz Maßnahmen der individualisierten Therapie ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund hat das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie Institut für Mikrotechnik Mainz (ITC-IMM) im Rahmen des Ci3 Spitzenclusters das `CTCelect´-Gerät zur Extraktion und Ablage einzelner Tumorzellen aus Vollblut in Töpfchen einer Mikrotiterplatte entwickelt. Das Gerät schlägt die Brücke von der Probennahme bis zur Einzelzellanalyse, hat eine sehr hohe Ausbeute an Zielzellen (> 75%) und eine sehr hohe Reinheit der Zielzellen. Durch die Automatisierung wird eine hohe Reproduzierbarkeit erreicht, was ideal zunächst für die Tumorforschung und später für den Einsatz in der Therapiesteuerung im Rahmen der personalisierten Medizin ist. Im Jahr 2014 gelang es am ICT-IMM, alle wesentlichen Komponenten des `CTCelect´-Systems positiv zu validieren, so dass im Jahr 2015 die Systemintegration erfolgen konnte. "Das CTCelect System, unsere Plattformtechnologie zur Probenprozessierung und -analyse im Rahmen der Liquid Biopsy ist unser Highlight-Exponat auf der diesjährigen COMPAMED", erklärt Dr. Michael Baßler, beim ITC-IMM für das System zuständig.
Ultrakurzpulslaser als Werkzeug in der Materialbearbeitung
Licht als Werkzeug bleibt ein Dauerthema bei der COMPAMED. Micreon zählt weltweit zu den renommiertesten Auftragsfertigern und Technologieberatern für die Mikrobearbeitung mit Ultrakurzpulslasern, die im Piko- und Femtosekundenbereich arbeiten. Die Bearbeitung mit derartigen Lasern ermöglicht eine deutlich höhere Bearbeitungsqualität als herkömmliche Lasertechnik. "Der Vorteil unserer Lasertechnik liegt in der extrem schädigungsarmen Bearbeitung aller festen Materialien mit Genauigkeiten von einem Mikrometer", erklärt Dr. Frank Korte, Geschäftsführer und Leiter Forschung und Entwicklung bei Micreon. Charakteristisch für die Ultrakurzpulslaser ist, dass die Energie im Festkörpermaterial lokal so stark konzentriert wird, dass eine direkte Ionisierung des Materials ohne Schädigung der Umgebung möglich ist. Micreon bietet in der Lasermikrobearbeitung insbesondere die Verfahren Feinschneiden, Mikrobohren und Strukturierung an. Beim Bearbeiten von Stents aus Biopolymeren z.B. sind vor allem die Qualität der Schnittkanten und die geringe Schädigung des Bauteilmaterials von großem Vorteil.
Mit 18.800 Besuchern hat die COMPAMED im Vorjahr eine neue Bestmarke gesetzt. In diesem Jahr werden wieder viele Produktentwickler, Produktionsverantwortliche oder Einkaufsentscheider in den Hallen 8a und 8b erwartet. Zu den Highlights aus Sicht der Besucher dürften neben den Ausstellerpräsentationen auch die beiden etablierten Foren zählen. Das COMPAMED High-Tech Forum by IVAM (Halle 8a) bietet z. B. eine ganze Session zum Thema "Tragbare Elektronik", das COMPAMED Suppliers Forum by DeviceMed behandelt unter anderem die Themen "Vorteile und Herausforderungen beim 3D Druck" sowie "Industrie 4.0 und Medizintechnik: Neue Geschäftsmodelle für Hersteller".
Autor: Klaus Jopp, freier Wissenschaftsjournalist (Hamburg)
Bilder: R. Eberhard, messekompakt.de, EBERHARD print & medien agentur gmbh
Quelle: Messe Düsseldorf