Interview mit Dr. Reinhold Festge:
"Wir brauchen eine wirtschaftsoffene Forschung in Deutschland"
Dr. Reinhold Festge ist Geschäftsführender Gesellschafter von HAVER & BOECKER Drahtweberei und Maschinenfabrik im nordrhein-westfälischen Oelde. Das mittelständische Familienunternehmen feierte in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Die Drahtweberei liefert schwerpunktmäßig technische Drahtgewebe für die Absiebung, Filtration und Messtechnik sowie Architektur-Drahtgewebe. Die Maschinenfabrik ist international anerkannter Spezialist auf dem Gebiet der Wäge-, Füll- und Aufbereitungstechnik und entwickelt, produziert und vertreibt Systeme und Anlagen für das Abfüllen und Aufbereiten von Schüttgütern aller Art.
Gemeinsam mit seinem Partner Walter Haver führt Dr. Reinhold Festge seit 1980 das Unternehmen in vierter Generation. Neben weiteren ehrenamtlichen Tätigkeiten, z. B. als Vorsitzender der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft, ist Dr. Festge Mitglied im bauma-Beirat der Messe München.
Dr. Reinhold Festge ist Geschäftsführender Gesellschafter
von HAVER & BOECKER Drahtweberei und Maschinenfabrik
Bild: HAVER & BOECKER
Bis zur bauma 2013 sind es noch wenige Monate - welche Erwartungen haben
Sie an die nächste bauma und was sehen Ihre Kunden dort Neues?
Die Vorbereitungen zur bauma 2013 laufen auf Hochtouren, und wir erwarten mit großer Spannung die Eröffnung der größten Bau- und Baustoffmaschinenmesse der Welt. Wie schon in den letzten Jahren werden wir nur Neuheiten in den Mittelpunkt unserer Ausstellung rücken. Zum einen gelten sie dem Thema Mining, zum anderen dem Thema Verpackung von Baustoffen.
Eine Neuheit für den Bereich Mining ist der neue, noch leistungsstärkere Hydro Clean, die Haver & Boecker-Lösung für das Waschen verunreinigter Rohstoffe mit geringem Energieeinsatz. Der neue Hydro Clean reinigt bei einem Wasserdruck von 200 bar bis zu 400 t Gestein pro Stunde.
Die neuentwickelte Siebmaschine HAVER NIAGARA F-Class hat einen neuen Antrieb, der eine größere spezifische Siebleistung pro Fläche ermöglicht. Die Siebmaschine wird in der Originalgröße von 2,4 x 6 m auf der bauma zu sehen sein.
Das Thema Mining wird abgerundet durch die Präsentation der neu zur Haver & Boecker-Gruppe gehörenden Firma Major, die mit ihrem Flexmat-System größeren Durchsatz bei geringerer Verblockung der Sieboberfläche verspricht. Im Bereich der Verpackungstechnik stellen wir unsere Kompetenz für das Abfüllen von pulverförmigen Schüttgütern in geschlossene Plastiksäcke anhand eines HAVER ADAMS-Stutzens unter Beweis.
Welche Rolle spielt die bauma für Ihr Unternehmen?
Für unser Haus entwickelt sich die bauma immer mehr zu der Messe für die Miningaktivitäten. Sie ist die wichtigste Messe für unseren Aufbereitungssektor.
Wie sieht die Prognose für das laufende Jahr (2012) und für 2013 aus?
Mit dem Jahr 2012 sind wir zufrieden. Bis zum Jahresende erwarten wir für die HAVER-Gruppe insgesamt eine leichte Steigerung im Umsatz und eine etwas deutlichere Steigerung im Auftragseingang. Besonders positiv haben sich für unser Haus im Bereich der Aufbereitungstechnik die Länder Südamerikas entwickelt. Für das neue Geschäftsjahr 2013 erwarten wir erste Resultate in unserer neugegrün-deten Tochtergesellschaft HAVER Australia. Insgesamt blicken wir positiv in die Zukunft. Die positive Grundeinschätzung basiert insbesondere auf einem soliden Auftragsbestand zum Ende des Jahres 2012.
Ihr Unternehmen ist überall auf den Weltmärkten präsent.
Auf welchen Märkten sehen Sie Potenzial? Wo liegt Ihre Zukunft?
Durch die Gründung von HAVER Australia sind wir jetzt auf allen Kontinenten mit eigenen Unternehmen vertreten. Wir erwarten für 2013 aufgrund der nicht gelösten Staatsschuldenkrise ein weiteres Abflachen der Konjunktur in der Eurozone. Dies macht uns große Sorgen, und es erscheint uns fraglich, ob die anderen Wirtschaftsgebiete den Rückgang in Europa und den europäischen Anrainerstaaten werden auffangen können. Ungeachtet dessen erwarten wir für Südamerika eine gleichbleibende Situation auf sehr hohem Niveau, für Asien eine Stabilisierung der Umsätze und für Australien und Afrika eine positive Entwicklung.
Chinesische und indische Unternehmen fördern in Afrika Bodenschätze
für den eigenen Markt. Hat Deutschland hier geschlafen?
Es ist richtig, dass die Chinesen und Inder mit massiver Förderung seitens ihrer Regierungen in Afrika die dort reichlich vorhandenen Bodenschätze fördern und in ihren eigenen Markt zurückbringen. Auch die Brasilianer sind auf diesen Zug aufgesprungen. Wir Deutschen haben für diese Reise leider noch kein Ticket gelöst und auch aus Regierungskreisen ist kein positiver Input zu vermelden. Ich glaube schon, dass wir auf diesem Kontinent sehenden Auges große Chancen nicht wahrnehmen.
Durch die Energiewende steigen die Preise für Strom. Ist das für Ihr
Unternehmen ein Problem, d. h. erleiden Sie einen Wettbewerbsnachteil?
Die Auswirkungen der Energiewende lassen sich nicht nur am Preis für Strom festmachen. Selbstverständlich ist jede Erhöhung von Preisen für die Industrie und insbesondere auch für den Mittelstand schädlich. Hinzu kommt ja noch eine überproportionale Steigerung der Arbeitskosten. Deutlich nachteiliger wirkt langfristig jedoch die Erhöhung der Unsicherheiten. Durch die energiepolitischen Entscheidungen der jetzigen Bundesregierung hatte Deutschland ein Experiment gestartet, dessen Erfolg erst noch unter Beweis gestellt werden muss. Es ist jedoch jetzt schon feststellbar, dass in der Industrie und im Mittelstand ein Umdenken stattfindet und Investitionen im Ausland besonders rege sind.
Was ist das interessanteste Projekt - aus Ihrer Sicht - an dem Ihr
Unternehmen gerade arbeitet?
Die Firma Haver & Boecker hat sich durch den Kauf der französischen Firma Newtec Bag Palletizing zu einem Full-Liner, also zu einem Lieferanten von ganzen logistischen Systemen für das Lagern, Verpacken und Verladen von Schüttgütern entwickelt. Dies ist für unser Haus eine neue Herausforderung und das wichtigste technische Projekt für 2013.
Für mich persönlich steht jedoch der Generationenwechsel für den Bereich der Maschinenfabrik im Vordergrund der Überlegungen und Bemühungen. Hier gibt es noch viel zu tun. Aber wir sind sicher, dass wir das Projekt erfolgreich bis Ende 2013 abgewickelt haben werden.
Für Ihre Produkte benötigen Sie gut qualifizierte Mitarbeiter.
Liefern die Schulen noch in ausreichender Zahl ausbildungsfähige junge Menschen?
Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für unsere Unternehmenszukunft unabdingbar. Seit Jahren schon haben wir intensiv an diesem Thema gearbeitet und zusammen mit Unternehmerkollegen in Oelde ein Bildungssystem aufgebaut, das die technische Ausbildung vom Kindergarten beginnend bis zur Bachelorarbeit umfasst. Dadurch sind wir für viele Jugendliche sehr attraktiv geworden und haben keine Nachwuchssorgen. Unserer Ansicht nach gibt es in unserer heimischen Region viele Schulen, die in der Vorbereitung der jungen Menschen wirklich gute Arbeit leisten.
Müssten wir hier in Deutschland mehr in Forschung und Entwicklung
stecken und die Hochschulen anders ausstatten?
Wenn wir in Deutschland unseren Wohlstand erhalten wollen, von einem Ausbau will ich gar nicht erst sprechen, brauchen wir exzellente Hochschulen, die in einem großen Maß auch entscheidungsfrei agieren können, und eine Intensivierung der Forschung. Ich bin davon überzeugt, dass es falsch ist, wenn wir das erfolgreiche Hochschulfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen jetzt wieder rückabwickeln und die Eigenverantwortlichkeit an den Hochschulen reduzieren. Das ist kontraproduktiv. Vielmehr müssen wir die Firmen ermutigen - und hier denke ich besonders an den Mittelstand -, zusammen mit den Hochschulen neue Produkte und Prozesse zu entwickeln. Nur so können wir mittel- und langfristig gegen die einwohnerstarken Länder wie Indien und China bestehen.
Was würden Sie machen, wenn Sie in Deutschland Bildungs- oder
Forschungsminister wären?
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, Bildungs- oder Forschungsminister zu sein. Meine Bitte geht aber dahin, sich nicht von Ideologien und Gimmicks treiben zu lassen. Wir brauchen eine weitsichtige Grundlagenforschung und eine wirtschaftsoffene angewandte Forschung. Ganze Forschungsgebiete schlichtweg auszuklammern und riesige Forschungsprojekte der Grundlagenforschung, wie z. B. die Kernfusion zurückführen zu wollen, halte ich für fahrlässig und langfristig für schädlich.
Sind wir stark genug in allen Technologiefeldern, um in Zukunft bestehen zu können?
Diese Frage kann mit einem klaren Nein beantwortet werden. Alles industrielle Tun hängt vom Vorhandensein billiger Energie ab. Durch die Vernachlässigung unserer Energieforschung haben wir mit Ausnahme der nachwachsenden Energien den Anschluss an die Weltspitze verloren bzw. sind in Gefahr, diesen zu verlieren. Dabei ist sicher, dass die nachwachsenden Rohstoffe, die Wind- und Solarenergie, bei der geografischen Lage Deutschlands nicht in der Lage sein werden, die notwendigen Energiemengen zu den notwendigen Zeitpunkten sicher zur Verfügung zu stellen. Dies ist für mich eine sehr bedenkliche Entwicklung. Und in meinen schlimmsten Erwartungen muss ich damit rechnen, dass es auch in Deutschland zu Stromabschaltungen kommt, ähnlich wie das in Indien gang und gäbe ist.
Was können Unternehmen tun, um Innovationen zu fördern?
Die Grundlagen von Innovation sind motivierte, gut ausgebildete, intelligente Mitarbeiter. Hier kann jeder Unternehmer in einem von ihm beeinflussbaren Bereich positiv tätig werden, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich fördern und ihnen Mut zur Leistung machen.
Es wird weltweit viel kopiert - wie schützt sich Ihr Unternehmen dagegen?
Wir werden das Nachbauen unserer Produkte nicht dauerhaft verhindern können. Schließlich ist es ja auch in der deutschen Gesetzgebung erlaubt. Der einzige wirksame Schutz gegen diesbezügliche negative Einflüsse ist das Schneller- und Bessersein. Kopien sind bekanntlich nie besser als das Original, und so muss es unser Ziel sein, das Know-how in Deutschland zu behalten. Den Vorsprung und unser Know-how sichern wir durch Anwendung gewerblicher Schutzrechte wie Patente und Marken ab. Außerdem waren wir Mitinitiator der VDMA-Kampagne "Choose the Original - Choose Success". Mit der Botschaft "Originaltechnologie macht sich bezahlt" wendet sich der VDMA mit seinen Mitgliedern an potentielle Kunden und geht so gemeinschaftlich gegen die Kopierindustrie und die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vor.
Es gibt in Deutschland viel zu wenig junge Gründer.
Wie ermutigen Sie heute junge Forscher, sich selbstständig zu machen?
Ich glaube nicht, dass es in Deutschland zu wenige junge Menschen gibt, die Ideen haben und selbst ein Unternehmen gründen wollen. In meiner Familie habe ich z. B. zwei Neffen, die diesen Schritt gewagt haben und sehr hart arbeiten, um ihr neues Unternehmen zu stabilisieren. Allerdings ist es in heutiger Zeit außerordentlich schwer, klein anzufangen, denn durch die vielen Vorschriften und Begrenzungen staatlicherseits liegt die Hürde für den ersten Sprung sehr viel höher als in der Vergangenheit. Und so sind junge Leute häufig vor die Situation gestellt, dass ihnen schlichtweg das Geld für den ersten Schritt fehlt.
Haben Sie persönlich einen Lieblingserfinder - ein leuchtendes Vorbild als Innovator?
Ein Mann, den ich besonders hoch schätze, ist Thomas Alva Edison. Der US-amerikanische Erfinder war gleichzeitig Unternehmer und hat auf den unterschiedlichsten Gebieten geforscht. Bekannt ist er für seine Forschungen auf dem Gebiet der Elektrizität und Elektrotechnik. Vergessen wir aber bitte nicht seine wichtigen Entwicklungen in der Verfahrenstechnik für die Bereiche Chemie und Zement. Er war ein genialer Mann, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts die Baustoffindustrie, d. h. den Zement, vernetzt hat mit der Botanik, d. h. mit der Pflanzenkunde. So ist zu Anfang des 19. Jahrhunderts der erste Faserzement entstanden, damals noch mit Naturfasern.
Welchen Weg mahnen Sie an in der Politik, damit Unternehmen wie das Ihre weiterhin wachsen und gedeihen können? Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?
Es gibt vieles, was bei uns richtig läuft. Zunehmend bedrückt aber auch die Anzahl der Dinge, die sich nicht optimal entwickeln, wie z. B. die Energiepolitik, die Erziehungs- und Forschungspolitik und, nicht zu vergessen, die Bürokratie und Regelungspolitik.
Was wünschen Sie sich für die Weiterentwicklung des Unternehmens
in den nächsten Jahren?
Für unser Unternehmen wünsche ich mir in den nächsten Jahren zunächst die Lösung der Staatsschuldenkrise und eine stetige und nicht überhitzte Konjunktur in allen Kontinenten dieser Erde.
Wenn Sie die letzten Jahre Revue passieren lassen:
Worauf sind Sie besonders stolz?
Rückblickend betrachtet, sind mein Partner und ich stolz darauf, dass wir alle Höhen und Tiefen der letzten zwei Jahrzehnte gut überstanden haben und es uns gelungen ist, die Globalisierung nicht nur als Chance zu verstehen, sondern auch als Chance zu nutzen. Dabei freuen wir uns auch darüber, dass wir technisch unsere führende Position inzwischen auch als Full-Liner haben verteidigen zu können.
Ihre größte Aufgabe in den nächsten zwölf Monaten?
Die größte Aufgabe in den nächsten 12 Monaten ist ohne Frage die Übergabe der Geschäftsleitung der Maschinenfabrik an die nächste Generation.
Quelle: VDMA